BACK TO CANADA BLOG #18
STEP 3 - Eine Monstertour nach Osten!

18.06.-01.07.2021

Brachmond im Jahre des Herrn 2021. Irgendwo im Nirgendwo der Utah’schen Salzwüste, westlich der Mormonen-Metropole Salt Lake City.

Ich kann mich noch gut zurückerinnern, wie ich den letzten Newsletter auf unserem faltbaren Plastiktisch, nebenbei erwähnt einem Glanzstück chinesischer Wertarbeit, in der erdrückenden Stille der Salzwüste von Utah verfasst habe. Den sogenannten Bonneville Saltflats. Nebst ein paar Reisestorys haben wir darin der Umstand beklagt, dass wir während unseres Aufenthalten in Californien, trotz intensiver Suche, keinen passablen Schulbus für uns gefunden haben. Der Traum, einen dieser legendär gelben US-Riesen in unser neues Zuhause zu verwandeln, schien für’s erste geplatzt. Doch wie so oft wenn man etwas abgehakt glaubt und sich dadurch eine gewisse Entspannung einstellt, kommt unvermittelt der kosmische Schicksalsweber um die Ecke und setzt mit flinken Fingern die Segel auf neuen Kurs. Wir haben längst aufgehört uns gegen diese unerwarteten Wendungen zu stemmen. Vertrauen haben und elastisch bleiben haben sich in so solchen Situationen schon eher bewährt und meist fügt sich dann am Ende alles zum Guten. In diesem Fall begann die Reise unter den neu gesetzten Segeln exakt zehn Minuten nachdem ich den letzten Newsletter in den digitalen Äther entlassen hatte.

Rückblickend ist es schwer zu sagen, ob mich eine innere Stimme dazu bewogen hat, mal wieder einen Blick in die „Zum Verkauf“ Abteilung einer grossen Social-Network Plattform zu werfen. Vermutlich war es eher die Gewohnheit und der innige Wunsch meiner Augäpfel nach etwas Kontrastprogramm zu dem zwar sehr schönen, aber doch mit der Zeit sehr monotonen Nichts dieser unermesslich grossen Salzkruste. Und wie das so ist mit diesen datenfressenden Internet-Riesen, sie vergessen nichts, rein gar nichts von dem, was man je in eine Suchleiste eingetragen hat. „School Bus“ war in unserem Fall wohl der prominenteste Suchbegriff der vergangenen zwei Monate. Und so war es auch wenig überraschend, dass mir augenblicklich dutzende dieser gelben Stahlkolosse auf dem Display aufploppten. Mein mittlerweile geübter Blick verriet schnell: „Reste kucken“. Heisst, hier tummeln sich nach wie vor die üblichen Verdächtigen, die niemand haben will. Entweder weil der Eigentümer utopische Preisvorstellungen hat oder die Fahrzeuge einfach nur noch einen Fall für die Schrottpresse sind. Ich war schon im Begriff die Aktion abzubrechen, als mir plötzlich ein bislang völlig unbekanntes Inserat in’s Auge stach. Selbst die Tatsache, dass die Chance verschwindend klein war, dass es sich ausgerechnet bei dieser Annonce um unseren langersehnten Traumbus handelt, konnte nicht verhindern, dass meine unermessliche Neugierde geweckt war. Der darauf folgende Klick auf das Display öffnete nicht nur den entsprechenden Link, es setzte gleichzeitig eine Kettenreaktion in Gang, die wir uns so selbst in den kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können. 

Denn allen Erwartungen zum Trotz stellte sich der Bus als echter Hingucker heraus. Angefangen bei der Grösse, über das Alter, der Anzahl Meilen, bis hin zu „wo kann ich ihn besichtigen“ war dieser Bus einfach nur perfekt für uns! 34 Fuss lang, Baujahr 2011, 110’000 Meilen auf der Uhr (was bei diesem Fahrzeugen fast schon als neuwertig durchgeht) und das beste daran, der Bus stand beinahe direkt auf unserer geplanten Route in Richtung Ostküste. Als der Verkäufer auf meine Anfrage dann auch noch umgehend antwortete und uns mitteilte, dass der Bus noch zu haben und jederzeit zu besichtigen sei, war unsere Route für den Folgetag gesetzt: Ostwärts in’s knapp 180 Meilen entfernte Tremonton.

Bevor wir uns aber vom Salzacker machten, galt es erst noch einen Punkt auf unserer Bucketlist abzuhaken: Eine Fahrt auf dem Bonneville Saltflats Speedway. Der Ort, an dem in der Vergangenheit diverse Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt wurden, soll angeblich auch für normalsterbliche Geschwindigkeits-Junkies frei befahrbar sein. Wobei es sich beim Bonneville Saltflats Speedway ja auch nicht um eine eingezäunte Rennstrecke im eigentlichen Sinn handelt, sondern um einen Abschnitt auf einem riesigen Salzsee, der im Sommer komplett austrocknet wobei eine knüppelharte und "popoflache" Salzkruste zurückbleibt. Der ideale Ort also, um das Gaspedal mal so richtig bis auf’s Bodenblech durchzudrücken. Oder wie die Amis sagen würden: Pedal to the Metal! So setzten also fünf Minuten später die Reifen unseres RAM’s knirschend auf dieser Salzkruste auf, wonach der 5,7 Liter HEMI Motor sein wohlknurrendes Crescendo von unter der Haube her ertönen liess. Beim Gedanken daran stellen sich mir gerade erneut die Nackenhaare auf! Während wir im Zickzack-Kurs über die Salzpiste hinweg schossen, verschmolz irgendwo am Horizont der stahlblaue Himmel mit der blendend weissen Salzkruste. Ein Anblick, den man so schnell nicht vergisst - „Sich ganz klein fühlen“ inklusive. Der Eindruck dieser surrealen Landschaft verstärkte sich noch zusätzlich, da man die Geschwindigkeit wegen der fehlenden Fixpunkte, wie Bäum oder Strassenschilder, mit seinen Sinnen nicht erfassen konnte. Knapp eine Stunde verbrachten wir so auf diesem Spielplatz für Erwachsene, bevor es mit salzverkrusteten Radkästen wieder zurück zu unserer Basislager ging, wo uns unser Heim auf Rädern schon sehnlichst erwartete.
Nach einer weiteren sturmumtosten Nacht ging es für uns am nächsten Tag zeitig los in Richtung Osten zum Besichtigungstermin, dem wir schon sehnlichst entgegenfieberten.



Gerade mal drei Stunden dauerte die Fahrt nach Tremonton, einer netten und gepflegten Kleinstadt etwas nördlich von Salt Lake City. Ein Ort, der es irgendwie geschafft hat, eine gesunde Balance zwischen Amazon-Online und „Old Farm Store“ aufrecht zu erhalten. Der dominierende Part von Tremonton bildet dabei eine stattliche Rodeo-Arena, die gemäss einem Schild am Eingang das „Oldest Rodeo in Utah“ beherbergt und ausserdem den klangvollen Namen „Golden Spike Rodeo“ trägt. Als Namensgeber dient hier eine historische Begebenheit, die sich im Jahre 1869 unweit von Tremonton ereignet hat: Der Zusammenschluss der ersten transkontinentalen Eisenbahnstrecke in den USA. Den letzten Nagel den sie dabei feierlich in den Holzschweller geklopft haben, war dem Anlass entsprechend aus purem Gold - dem „Golden Spike“. Nach Tagen in der Walachei hiess uns Tremonton mit einem charmanten Mix aus gelebtem Wild-West-Feeling und gesunder Moderne wieder in der Zivilisation willkommen.

Die Besichtigungsadresse des Busses, die gemäss Verkäufer, einem gewissen Jeff Archibald, gleichzeitig die Adresse seines Reifenhandels war, mussten wir nicht lange suchen. Jeff hatte den Schulbus in seiner charakteristisch gelben Lackierung bereits direkt entlang der Hauptstrasse wirkungsvoll aufdrapiert. Ein Firmenschild mit der Aufschrift „Archibald Tire Pros“ wischte dann auch noch die letzten Zweifel beiseite, dass wir versehentlich die falsche Adresse angesteuert haben.


 


Ich muss eingestehen, dass ich die Gilde der Reifenhändler im Vorfeld in meinem Kopf bereits sauber und pauschal schublaisiert hatte. Jedenfalls waren Ausdrücke wie „freundlich“, „herzlich“ und „offen“ keine Attribute, mit denen ich bislang einen Reifenhändler betitelt hätte. Irgendwie schien Jeff davon nichts gewusst zu haben. Denn dieser legte in die Begrüssung eine selbstverständliche Herzlichkeit, die so überhaupt nicht in mein Weltbild passte. Mein Verstand versuchte darin noch die unlauteren Absichten eines schmierigen Verkäufers auszumachen, was aber jedesmal einem Griff in's Leere glich. Dieser Mensch schien tatsächlich einfach nur „freundlich“, „herzlich“ und „offen“ zu sein. Ein Eindruck, der sich mit jeder weiteren Minute noch zusätzlich verstärkte, in der er uns ganz entspannt mit der Materie des Busses vertraut machte. Aber auch abseits all dieser subjektiven Eindrücken waren wir mehr als freudig überrascht. Denn was wir hier zu sehen bekamen, entsprach nicht nur bis in's kleinste Detail dem was in der Anzeige stand, einiges übertraf unsere Erwartungen sogar noch! Einen Umstand, den wir natürlich tunlichst zu verbergen versuchten. Egal wie oft wir unter den Bus krochen, die Anzeigen auf dem Armaturenbrett studierten oder die Sitzreihen abschritten, der Bus schien wirklich in einem absolut einwandfreien Zustand zu sein. Selbst der 7,2 Liter International Motor erwachte kurz nach dem Drehen des Zündschlüssels ohne Umschweife zum Leben, worauf er in dem charakteristisch tiefdröhnenden Nageln eines rundlaufenden Dieselmotors vor sich hin tuckerte. 

Nach all dem was wir hier gesehen haben, erschien selbst der noch unverhandelte Verkaufspreis mehr als fair! Doch man kauft in den USA kein Fahrzeug ohne zu verhandeln. Das macht man einfach nicht. Ausserdem wussten wir auch um die Tatsache, dass mit jeder weiteren Meile Richtung Osten die Preise für Schulbusse in den Keller sinken. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass parallel dazu die Qualitätskurve, besonders was die klimabedingten Rostschäden anbelangt, steil nach unten zeigt. So oder so - wir empfanden es als Geste des Respekts hier noch eine Runde um den Preis zu feilschen. Mit unserem Gegenangebot im Gepäck verabschiedete sich Jeff dann für’s erst, wobei er uns noch mitteilte, dass er am Wochenende mit der Familie unterwegs sei uns deshalb erst wieder am Montag für uns Zeit hätte.

Zwei Tage galt es nun also irgendwie zu überbrücken. Das war grundsätzlich nicht weiter schlimm. Denn wir hatten ohnehin vor, den Ort zu besuchen, an dem die Eisenbahngesellschaften anno dazumal den „Golden Spike“ in’s Schwellbrett geklopft haben. Unnötig zu erwähnen, dass die Amerikaner daraus ein grosses Hallo, bzw. die „Golden Spike National Historic Site“ kreiert haben. Als Schlafplatz für die kommenden Tage haben wir uns in Ermangelung an echten Alternativen für den ausladenden Parkplatz der „Golden Spike Rodeo Arena“ entschieden, der sich idealerweise gleich gegenüber von Jeff’s Reifenhandel befand. Es schien nicht so, als würden wir dort irgend jemanden stören. Auch nicht der Umstand, dass dort gerade die Vorbereitungen für das am folgenden Wochenende stattfindende Rodeo-Festival im Gange waren. Der Parkplatz war wirklich riesig und ausser ein paar Anhänger, mit denen einige Teilnehmer bereits ihre Pferde und Bullen herangekarrt haben, war nicht viel Betrieb auf dem Kiesplatz. Ganz im Gegensatz zu dem, was im Innern der Arena los war. Denn dort waren einige Cowboys und Cowgirls bereits fleissig dabei, für das anstehende Event zu trainieren. Und da die Tore zur Arena Sperrangel weit offen standen, war unser Abendprogramm gesichert. Immer wieder schön, wenn sich etwas völlig planlos von ganz alleine entwickelt.


Erwartungsvoll brachen wir am nächsten Morgen zur rund 20 Minuten entfernten „Golden Spike National Historic Site“ auf. Denn wie wir gehört haben, soll da angeblich das komplette Brimborium der damaligen Schienenzusammenlegung originalgetreu nachgespielt werden. Wir freuten uns also schon auf dampfspuckende Lokomotiven, finster dreinblickenden Cowboys auf ihren schäumenden Pferden und kraftvoll geschwungene Vorschlaghämmer, die den letzten Nagel aus purem „Gold“ symbolisch in einem Schweller versenken. Die Amerikaner wissen ihre Geschichte normalerweise wirklich gut in Szene zu setzen. Leider fiel die Darbietung dieses mal nicht ganz so pathetisch aus wie erhofft. Dass die beiden Original Loks, die sich damals von Ost und West kommend an dieser Stelle getroffen haben, mittlerweile dem Zahn der Zeit erlegen sind, war ja noch nachvollziehbar. Bis vor ein paar Jahrzehnten war das Konservieren der Geschichte eher ein Hobby als eine einträglicher Berufszweig. Und die beiden bunt bemalten und in der Sonne glänzenden Repliken, die „Jupiter“ der Central Pacific Railroad und die „119“er der Union Pacific, waren auch ohne den Original-Bonus eine echte Schau! Aber von der erhofften Dreifaltigkeit, den Cowboys, den Lokomotiven und den fliegenden Hämmern blieben letztendlich nur die Lokomotiven übrig. Den Rest der Geschichte wurde von einem etwas nervös wirkenden Park Deputy einfach in mündlicher Form vorgetragen. Ob die gesamte Vorstellung der Covid-Cancel-Culture zum Opfer gefallen war oder einfach nur der Laune des Parkvorstehers, wir wissen es nicht. Unser Highlight beschränkte sich letztendlich auf die beiden Lokmotiven, die aber immerhin ratternd, bimmelnd und dicke Rauchschwaden hinter sich herziehend über das geländeeigene Schienennetz preschten. So gesehen war es wenigstens nicht ganz der pure Reinfall, auch wenn wir uns schon ein bisschen mehr erhofft hätten.




Nachdem unsere Kids zum Schluss einmal mehr den heiligen Park-Ranger-Eid abgelegt und sich damit den gefühlt vierundneunzigsten Junior-Ranger-Patch gesichert hatten, ging es für uns wieder zurück auf den lauschigen Arena-Parkplatz. Und dort kamen wir dann doch noch in den Genuss einer ordentlichen Cowboy-Vorstellung. Denn das Rodeo-Trainings war nach wie vor in vollem Gange.

Am Montag Morgen überraschte uns Jeff in seinem Büro mit der Nachricht, dass er unsere Gegenofferte für den Bus ohne wenn und aber akzeptiert. Wir haben mit einem Preis irgendwo in der Mitte gerechnet … aber gleich die volle Distanz?!? Vielleicht lag es daran, dass die Chemie zwischen uns von Beginn weg gepasst hat und Jeff ganz offenkundig unseren Lebensstil mit einem gewissem Respekt begegnete. Auch er befand sich gerade in einem Prozess, den ihn und seine Familie an die Schwelle zwischen „weiter so“ und dem Wunsch nach Veränderung geführt hat. Über die Schwelle tragen konnten wir sie dabei natürlich nicht, aber vielleicht trugen einige unserer Erfahrungsberichte dazu bei, ihnen etwas den Respekt davor zu nehmen. Wie auch immer. Wir waren jedenfalls mehr als dankbar für dieses grosszügige Entgegenkommen. Dieser gegenseitige Respekt führte im Verlauf der nächsten Tage zu einer Freundschaft, die wir in so kurzer Zeit nie für möglich gehalten hätten. Bei einigen Einladungen und gemeinsamen Ausflügen lernten wir dabei auch seine wundervolle Familie kennen, die uns ebenfalls vom Fleck weg in ihr Herz und ihr Vertrauen geschlossen hat. Da die 7-köpfige Familie in der lokalen Mormonen-Kommune sehr engagiert ist und wir von Hause aus selten eine neue Erfahrung auslassen, begleiteten wir sie eines Tages zum Mormonen Gottesdienst. Nein, nicht was ihr jetzt vielleicht denkt. Die uns entgegengebrachte Freundlichkeit war keine Masche zur Gewinnung neuer Mitglieder. Erstens wären wir mit unserem Touristen-Visa wohl etwas das falsche Klientel, Zweitens war es unser Vorschlag sie zu begleiten und Drittens wurden wir zu keiner Sekunde von irgendjemandem bequatscht unsere Konfession zu überdenken. Es war einfach eine weitere interessante Erfahrung, bei der sich ganz nebenbei noch eine weitere vorgefertigte Meinung in Luft auflöste.


So schön diese Tage mit den Archibalds auch waren, so blieb nebenbei doch noch einiges zu tun. Und vieles davon lief leider überhaupt nicht nach Plan, was letztendlich auch zu dem unerwartet langen Aufenthalt in Tremonton führte. Zum einen hatten wir wirklich nicht damit gerechnet, dass es so schwer werden würde, in den USA an eine Versicherung für einen privat genutzten Schulbus zu kommen. Angeblich wurden da vor einiger Zeit die Bestimmungen geändert und seither möchte keine Versicherungsgesellschaft mehr etwas mit diesen Fahrzeugen am Hut haben. Das soll verstehen wer will. Denn diese meist überstehen diese rollenden Stahlcontainer einen Unfall ohne den geringsten Kratzer und selbst wenn, liegt der Wiederbeschaffungswert, selbst top ausgebaut, immer noch weit unter einem dieser Luxus-Wohnmobile. Unser Versicherungsagent, der damals unser 5th Wheel Gespann unten in Florida versichert hat, rief irgendwann völlig entnervt an und meinte, dass er mit seinem Latein am Ende sei. Er hätte im gesamten Sunshine State keine einzige Gesellschaft gefunden, die einen Schulbus versichern wolle. Mit diesen Worten platze augenblicklich unser romantischer Plan, mal eben kurz die alten Kontrollschilder aus Florida inklusive der Versicherung auf den Bus umzuschreiben. Und da angeblich die Versicherungsagentur aus dem Staat stammen muss, in dem man sein Fahrzeug zugelassen hat, brauchten wir wohl nun auch neue Kontrollschilder. Das kann ja was werden!

Mit dem Mut der Verzweifelten machten wir uns also Tags darauf auf den Weg zur nächsten DMV, der Amerikanischen Strassenzulassungsbehörde. Wir schätzen unsere Chancen, mit einem Touristen-Visa, einem Schweizer Führerschein und ganz ohne einen Versicherungsnachweis an neue Kontrollschilder zu kommen, ganz realistisch im tiefen Promillebereich ein. Doch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind wir schon des Öfteren kolossal überrascht worden und ausserdem kostet Fragen ja nichts.
So wurden wir also kurz darauf von einem sehr gut gelaunten Mitarbeiter der DMV hinter einer Glasscheibe begrüsst, der sich geduldig unser stammelnd vorgetragenes Begehren anhörte. Gefasst auf eine langatmige und in geschwollenem Beamtenenglisch vorgetragene Erklärung, dass wir uns das unter diesen Voraussetzungen gleich abschminken sollen, hörten wir von der anderen Seite der Plexiglasscheibe her nur ein freundliches: "Klar doch. Welches Schildmotiv wollt ihr denn haben?" Wir brauchen wohl nicht zu erwähnen, dass wir uns einen Moment sammeln mussten. Unser Gesichtsausdruck, eine Mischung aus ungläubigem Starren und unkontrolliert dümmlichen Grinsen, muss ziemlich albern ausgesehen haben. Aber das war uns in diesem Moment ziemlich schnuppe. Denn wichtig war einzig, dass wir scheinbar in Kürze ein paar frischgepresste Kontrollschilder bekommen würden. Als wir uns wieder einigermassen gefasst und für ein Motiv entscheiden hatten, griff der gute Mann neben sich in die entsprechende Kiste und zog einen Satz Schilder heraus. Als er las was darauf stand, schien sich seine ohnehin schon blendende Laune noch zusätzlich zu steigern. „Oh … look at that“ meinte er nur breit grinsend und überreichte uns damit feierlich die Schilder. Die Freude war ganz unsererseits als wir sahen, was da in grossen Buchstaben drauf stand: 2POZR. Was in Slang-Englisch in etwa soviel bedeutet wie "angeben“ oder „protzen“. Lachend und uns gegenseitig noch ein paar Scherze über unsere neuen Schilder zuwerfend, verabschiedeten wir uns eilig in Richtung Ausgang. Nicht dass es sich der Mensch nochmal überlegt.


Das Kontrollschilder-Problem hatten also wir schonmal vom Tisch. Blieb noch die leidige Versicherungsgeschichte und der Verkauf unseres Gespanns. Wir wollten ja nicht mit zwei durstigen Fahrzeugen die nächste Etappe antreten, die, wie wir zwischenzeitlich wussten, uns in’s 2300 Kilometer entfernte Kankakee im Bundesstaat Illinois führen würde. Denn dort leben Freunde von uns, die wir auf unserer ersten USA Reise 2019 kennengelernt haben und die uns ohne zu zögern angeboten haben, dass wir den Bus in einer gedeckten Scheune auf ihrem Grundstück umbauen dürfen. Und nicht nur das. Obendrein stellen sie uns während des Umbaus auch noch ihren eigenen Wohnwagen als Wohnung zur Verfügung. Was für Menschen! Da der Besuch der Familie Dunnill sowieso auf unserem Reiseplan stand, war das einfach nur perfekt!

Doch bevor es soweit war, galt es ja noch ein paar Probleme aus der Welt zu schaffen. Dazu gehörte auch den Bus für die Überführung nach Illinois bereit zu machen. Denn gemäss Gesetz müssen sämtliche an einen Schulbus erinnernde Beschriftungen und Beleuchtungen entfernt oder abgedeckt werden, bevor man damit wieder auf die Strasse darf. Ausserdem wollten wir die Fahrt nach Illinois auch nicht mit den 30 verbauten Sitzbänken in Angriff nehmen. Einerseits wegen dem Gewicht, was sich auf direktem Weg im Benzinverbrauch bemerkbar macht, und andererseits würde die Bewältigung der Strecke einige Tage in Anspruch. Irgendwo mussten wir ja schliesslich auch noch leben und schlafen. Zu diesem Zweck hatten wir uns zwischenzeitlich zwei grosse aufblasbare Matratzen sowie einen Wassertank mit einer kleinen Pumpe besorgt. Gemeinsam mit dem restlichen Hausrat aus dem 5th Wheel brauchten wir wirklich jeden Quadratmeter in dem Bus. Ein neuer Luftfilter, das Abdichten eines undichten Fensters, der Einbau einer zweiten Starterbatterie, das Ausbauen der beiden mit Kühlwasser betriebenen Heizlüfter und ein neues Pärchen Scheinenwischblätter rundeten die ToDo-Liste für die Vorbereitung ab. Ein Blick auf den Ölmessstab verriet, dass eigentlich auch noch ein Ölwechsel dringend von Nöten gewesen wäre, aber dafür hätten wir einen Termin in einer LKW-Garage vereinbaren müssen. Und dafür hatten wir nun wirklich keine Zeit mehr. Ein paar gekreuzte Finger und gutes Zureden mussten ausreichen, um mit dem Altöl bis an’s Ziel zu gelangen. Dort hatten wir ja dann wieder genügen Zeit für sowas.




Besonders der Ausbau der Sitze erwies sich als besonders störrisch. Keine Ahnung wer auf die glorreiche Idee kam, die Dinger gleich durch den Fussboden hindurch zu schrauben und von unten mit einer Mutter zu sichern. Nicht nur dass das Entfernen der zig Schrauben eine schweisstreibende Arbeit war, es hinterliess auch haufenweise Löcher, durch die man direkt auf den Strassenbelag hindurch kucken konnte. Zum Glück gibt es in den USA eine nette Auswahl an Dichtstoffen, mit denen man so einem Problem einigermassen einfach beikommen kann.
Zur Beseitigung der restlichen Probleme, die fehlende Versicherung sowie der ausstehende Verkauf unseres Gespanns, trug dann völlig unerwartet der gute Jeff bei. Ein Anruf bei seiner Versicherungsagentin im Ort verschaffte uns nach einigem hin und her die langersehnte Versicherung, worauf er uns gleich noch mit der Anfrage überraschte, ob er uns das Gespann für sich und seine Familie abkaufen könne. Was für eine Frage?!? Unser Einwand, dass der 5th Wheel trotz der acht Schlafplätze für eine 7-köpfige Familie wohl etwas eng werden würde, schreckte ihn nicht ab. Inspiriert von unseren Reiseberichten wolle er gemeinsam mit seiner Familie nun etwas mehr von seinem Land erkunden. Wir hatten zwischenzeitlich bei einigen Fahrzeug- und Camperhändlern im Umkreis Offerten eingeholt, die wegen dem vorherrschenden Versorgungsmangel mehr als erfreulich ausfielen. Natürlich wussten wir, dass wir bei einem Privatverkauf noch mehr herausholen könnten, doch dazu fehlte es uns an Zeit und Nerven. Und ausserdem wollten wir auch Jeff’s Bestrebungen nach ein paar zusätzlichen Familien-Reiseabenteuern unterstützen. So wechselte also unser ehemaliges Zuhause, mit welchem wir so viele schöne Erinnerungen in Verbindung bringen, in die guten Hände der Familie Archibald. Natürlich in der Hoffnung, dass sie damit genau so viel Spass haben werden wie wir!



Auch wenn wir mittlerweile wissen, dass mit der richtigen Portion Geduld und Zuversicht am Ende alles gut wird, staunen trotzdem immer wieder über diese Fügungen! Und es war auch schön zu sehen, dass wir mit der Einschätzung von Jeff und seiner Familie goldrichtig lagen. Was diese Menschen uns in den zehn Tagen, die wir letztendlich in Tremonton verbracht haben, an Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegengebracht haben, war wirklich berührend. Dass Jeff uns zum Schluss noch ein paar brandneue Vorderreifen zum Nulltarif auf den Bus aufzog, war noch das sprichwörtliche Tüpfelchen auf dem i. Doch nun war es für uns an der Zeit aufzubrechen. Denn unser Plan war, unsere Freunde in Illinois vor dem US-Nationalfeiertag am 4. Juli zu erreichen. Uns blieben also noch 6 Tage um die 2300 Kilometer hinter uns zu bringen. Wenn alles glatt läuft, sollte das locker reichen.


Um den Bus so sanft wie möglich an sein neues Leben als Wohnmobil heranzuführen, entschlossen wir uns, die gesamte Strecke in fünf Etappen zu unterteilen. Also rund 450 Kilometer pro Tag. Von Utah aus durch die Staaten Wyoming, Nebraska und Iowa bis nach Illinois rein, wo unsere Freunde im 80 Kilometer südlich von Chicago gelegenen Kankakee leben.
Auf den ersten paar Meilen mussten wir schnell festgestellt, dass man in Punkto Fahrkomfort nicht das gleiche Erwarten darf, wie bei einem Wohnmobil. Die eigentliche Aufgabe eines Schulbusses ist es ja, ein paar Kinder am Strassenrand einzusammeln und sie in die Schule und wieder zurück zu karren. Dabei sollen sie unbeschadet am Ziel ankommen und es im Winter auch noch warm haben. Und genau so sah vermutlich auch der Anforderungskatalog an den Hersteller aus: 1. Massive Bauweise (siehe Panzerbau) / 2. Heizung - Ende! Von einem abgestimmten Fahrwerk oder einer geräuschreduzierenden Dämmung stand da mit Sicherheit nichts darin! Vermutlich geht man einfach davon aus, dass die Kids alle noch über intakte Bandscheiben verfügen und ohnehin ständig Kopfhörer auf haben. Dem Fahrer hat man in unserem Fall grosszügiger weise einen Luftdruck gefederten Sitz spendiert. Einen „Air Ride Seat“, wie man hier sowas nennt. Der Effekt, wenn ein so simples mechanisches System versucht den mangelhaften Federweg der Blattfederung auszugleichen, ist schon ziemlich spektakulär. Ihr habt sicher alle schon mal erlebt wie das aussieht, wenn mehrere Kinder gleichzeitig versuchen auf einem Trampolin herum zu hüpfen. Je nach dem in welcher Konstellation gehüpft wird, passiert entweder fast gar nichts oder die Energie vervielfacht sich im Quadrat, worauf die kleinen Racker unkontrolliert durch die Luft wirbeln. Ungefähr so verhielt es sich mit unserem „Air Ride Seat“. Die ersten paar Bodenwellen haben mich eiskalt erwischt. Gemeinsam mit dem Rest des Körpers wurden meine Füsse urplötzlich steil nach oben von den Pedalen gerissen und nur ein beherzter Griff am Lenkrad konnte verhindern, dass sich meine Kopfform im Deckenblech verewigte. Je nach Anordnung der Bodenwellen wiederholte sich das Ganze gleich mehrfach. Dieser abrupte Wechsel der G-Kräfte erinnerte irgendwie an eine Achterbahnfahrt. Nur dass man dabei nicht in einem auf den Schienen verankerten Wagen sitzt, sondern in einem 13 Tonnen schweren Radpanzer mitten auf dem Freeway.

Da ist es doch ein Glück, dass wir alle von Gewohnheitstieren abstammen. Irgendwann stellte sich so auch bei uns nach ein paar Stunden am Steuer eine entspannte Routine ein. Mit einem guten Hörbuch in den Ohren flogen die Meilen nur noch so dahin. Und soweit ich das im Rückspiegel abschätzen konnte, hatte sich auch der Rest der Familie mit den Umständen arrangiert und es sich dabei kreuz und quer auf den Luftmatratzen gemütlich gemacht.

50 Meilen pro Stunde (ca. 80km/h) wollte ich der Eisernen Lady auf ihrer Jungfernfahrt als Wohnmobil nicht zumuten. Doch selbst in diesem gemächlichen Tempo erreichten wir nach ein paar Stunden die vorgesehene Distanz für unsere erste Etappe. Ein besonders spannendes Kapitel im Hörbuch sowie die Freude darüber, dass unser Bus die Strapazen nach all den Monaten des Herumstehens so grandios wegsteckt, motivierte uns gleich noch ein paar Meilen dranzuhängen. 

Drei ereignislose Stunden später war dann aber die Luft aber definitiv raus. Acht Stunden am Steuer waren genug für den ersten Tag und so steuerten wir den Bus unter die gedämpfte Parkplatzbeleuchtung eines Walmarts in der Ortschaft Cheyenne im Bundesstaat Wyoming, kurz vor der Grenze zu Nebraska. Nicht nur dass wir unser Etappenpensum gleich am ersten Tag weit übertroffen hatten, auch der Umstand dass unser Bus diese Etappe so gut weggesteckt hat, liess uns mit einem guten Gefühl in die luftgefüllten Betten steigen steigen. Und kurz darauf hiess es einstimmig: "Gute Nacht John Boy!"

Nach einer Katzenwäsche starteten wir früh am nächsten Morgen zu unserer zweiten Etappe Richtung Osten. Der Highway 80, auf dem wir schon den gesamten Weg von Tremonton her unterwegs waren, ist nicht gerade das, was man „unterhaltsam“ nennt. Aber dieser Highway war die ideale Teststrecke für unsere Neuerwerbung. Auf schnurgerader Strecke geht es meilenweit mal leicht bergauf, dann wieder sanft bergab, wobei sich die Landschaft allmählich von dem ockerfarben dominierten Braun des Westens in das saftige Grün der Midwest-Region verwandelt. Ein kurzer aber heftiger Regenguss auf der Strecke liess uns dann in der guten Gewissheit zurück, dass nun alle Fester zu 100% dicht sind. Eine ansonsten weitgehend ereignislose Fahrt über weitere 450 Meilen endete nach erneut acht Stunden Fahrt auf dem Parkplatz einer Cracker Barrel Fastfoodkette in der Ortschaft Lincoln im Staate Nebraska.

Cracker Barrel ist einer der Adressen, an der man als ziehender Nomade in der Regel immer einen Schlafplatz auf dem Parkplatz bekommt. Als Gegenleistung wird natürlich erwartet, dass man dort einkehrt. Eine Frage des Anstands, dem wir Angesichtes der gähnenden Leere in unseren Mägen gerne nachgekommen sind. Das essen bei Cracker Barrel ist nie wirklich spitze, aber das Preis-/Leistungsverhältnis stimmt. Unsere Kids sind mittlerweile schon soweit, dass sie bei dem Namen „Cracker Barrel“ ein müssiges Stöhnen verlauten lassen. So betraten wir also auch an diesem Abend den dekorativ auf Country-Style getrimmten Fresstempel, mit zwei maulenden „ich-will-hier-nicht-essen“ Kids im Schlepptau. Wir ahnten ja nicht, wie sehr dieser Besuch ihre Abneigung noch verstärken würde. Denn kurz nach unserer Rückkehr in den Bus verlor Lynn sämtliche Farbe aus dem Gesicht wobei sie andeutete, dass sie ihr Essen wohl in Kürze nochmal wieder sehen würde. Nun ja … die Nächte in diesem provisorisch zum Wohnmobil umfunktionierten Bus sind an sich schon keine erhabene Erfahrung. Wegen der Mücken kann man kein einziges Fenster öffnen und der Bus ist vollgestopft mit Dingen, wovon einige aus geschmackstechnischen Gründen eigentlich eher in einen Aussenstauraum gehören. Solche Stauräume gab es aber leider in diesem Bus noch nicht und gepaart mit unseren eigenen Ausdünstungen herrschte ziemlich schnell mal ein ordentlicher Mief im Bus. Lynn’s Unwohlsein traf nun also auf diese interessante Geschmacks-Mischung, was irgendwann in dem eindringlichen Ruf nach einer Schüssel endete. Es wurde einer sehr kurze Nacht, die zwischendurch immer mal wieder von einem Spaziergang über den dunklen Parkplatz „gekrönt“ wurde. Wenigstens zeigten sich die Glühwürmchen dabei bei bester Laune. Denn die vollführten dabei auf dem angrenzenden Acker ein wahres Lichtspektakel. Auf der Plusseite des Tages stand aber eindeutig, dass wir erneut ein überdurchschnittliches Meilenpensum abgearbeitet hatten und der Bus nach wie vor keinerlei Zicken machte! Mittlerweile trennten uns lediglich noch 525 Meilen von unserem Ziel.

Auch der dritte Tage begann früh und da die Erinnerungen an das Abendessen noch ziemlich präsent waren, liessen wir das Frühstück bei Cracker Barrel sausen. Ein paar Müsli-Flocken mit Milch erschienen auf einmal wie ein Sternemenü. Während wir weiter Richtung Osten donnerten, verschwand das trockene Braun der Landschaft endgültig und wurde komplett von den die Midwest-Region prägenden Mais- und Sojafeldern abgelöst. Ein willkommener Kontrast zu den ganzen Steppen und Wüsten, die wir die letzten Wochen zu Gesicht bekommen hatten.



Der Highway 80 wurde zwar auch auf dieser Etappe nicht wirklich spannender, aber wenigstens sorgten die Ortsnamen am Wegesrand, wie Marseilles oder Peru, ab und zu mal für Erheiterung. Während eines Pinkelstopps knapp 120 Meilen vor dem Ziel, entschlossen wir uns, die Monstertour hier und heute zu beenden. Eigentlich hatte ich das Steuerrad für heute gesehen, doch der Gedanke an eine weiteren Nacht in diesem miefigen Bus verlieh mir den nötigen Motivationsschub. So riefen wir unsere Freunde an, kündigten uns zwei Tage früher an als erwartet und drückten nochmal auf’s Gas. Ziemlich exakt drei Stunden später kam dann endlich das Grundstück der Familie Dunnill in Sicht, wo wir schon winkend erwartet wurden. Und damit endete unser Transfer, der uns durch einen Drittel der gesamten USA führte und läutete gleichzeitig die nächste Etappe dieses unabsehbaren Projekts ein. Die Verwandlung eines Schulbusses in unser neues Zuhause.


Und damit verabschieden wir uns für den Moment wieder von euch werte Freunde. Macht's gut!


Eure „Home on Wheels“
Martin, Amy, Lynn & Jamie